Di, 28.5.2019, Universität Wien, Hauptgebäude, Hörsaal 34 (Hochparterre), 18:30 Uhr
- Marlies Ockenfeld, Darmstadt, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen (DGI); jahrzehntelang Chefeditorin des referierten SCOPUS-indexierten Journals Information: Wissenschaft und Praxis (IWP), Verlag De Gruyter: Erfahrungen einer Journalherausgeberin
- Terje Tüür-Fröhlich, Wissenschaftsforscherin, Linz: Endogene Datenbankfehler und wie sie bestimmten Gruppen von WissensarbeiterInnen schaden und was wir dagegen tun können
“Publish or Perish” – “Publiziere oder geh zu grunde” – das ist das Mantra des zeitgenössischen Wissenschaftsbetriebs.
Vor allem WissenschaftsfunktionärInnen versichern dem sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs: “Veröffentlicht, veröffentlicht, und für Euer wissenschaftliches Überleben, nein Eure Karriere ist gesorgt”.
Doch halten diese Durchhalteparolen einer kritischen Überprüfung stand? Die Universitäten produzieren zu viele Promovierte, stellen massenhaft befristete LektorInnen (Lehrbeauftrage) und Projektmitarbeiter an.
Zwei Drittel aller Lehrveranstaltungen in Österreich, Deutschland, den USA werden nicht von ProfessorInnen (auf Dauerposten), sondern von sogenannten befristeten LektorInnen abgehalten.
Ihre Verträge müssen nicht verlängert werden, und nach acht Jahren müssen sie gehen – ganz egal wie kompetent und erfolgreich sie sind. Das Elend der PostDocs und der habilierten “Privatdozenten” ist groß. Sie sind die neuen wissenschaftlichen TagelöhnerInnen.
Promotionen und andere wissenschaftliche Arbeiten sind oft für die ArbeiterInnen nicht nachhaltig produktiv, sondern sie werden einerseits als Ausbildungsabfall und andererseits von fest angestellten WissenschaftlerInnen für ihre Zwecke gebraucht.
Schauen wir uns die kritischen Befunde der Wissenschaftsforschung an: Eie Wissenschaftsstar, “most cited” Scientists usw., leben nicht zuletzt von “Matthäus-Effekten” (Robert K. Merton), “Denn jene die haben, denen wird gegeben werden; jene die nicht haben, wird sogar das noch genommen werden (Gleichnis vom anvertrauten Gelde, Evangelium nach Matthäus).
Immer mehr Wissenschaftler produzieren für einen schrumpfenden Markt, d.h. ein großer Teil der Publikationen wird kaum mehr rezipiert und vor allem wird nicht für weitergehende Forschung verwendet.
Auf eine zugespitzte Formel gebracht: Es gibt Leute, die sollen/müssen publizieren; die wahren MeisterInnen jedoch LASSEN publizieren, von einer Heerschar von MitarbeiterInnen. Wenn sie berühmt geworden sind, dann werden Sie sogar als EhrenautorInnen in Publikationen angeführt, ohne etwas geleistet zu haben. Sie sollen mit ihren klingenden Namen vor allem die Publikations- und Sichtbarkeitschancen steigern. Oder sie werden von Pharmaunternehmen und anderen Organisationen für Werbezwecke eingeladen, Studien unter ihrem Namen zu veröffentlichen, die von Ghost Writern dieser Unternehmen verfasst wurden. Für die Übernahme dieser Ehrenautorenschaften erhalten sie nicht unbeträchtliche Zahlungen. Manche “Graphomanen” bringen es zu 1000 Publikationen in zehn Jahren.
Wofür schreiben WissenschaftlerInnen? Glauben wir den Sonntagsreden, dann schreiben sie, um mit ihren FachkollegInnen Ideen und Befunde auszutauschen, um Kritik zu üben und Kritik zu erhalten. Doch die wichtigste Funktion in der heutigen konkurrenzorientierten Evaluationskultur ist es: Sie schreiben, um gezählt zu werden – ihr “Output” (wieviel publiziert) und ihr “Impact” (wie oft zitiert). Beides wird von Zitationsdatenbanken gemessen wie Web of Science oder Scopus.
Vor allem AutorInnen mit LOTE-Namen (Languages Other Than English) mit Umlauten, Akzenten usw. Müssen hier die Verhunzung ihrer Namen bei der Indexierung etwa im SSCI (Social Sciences Citation Index) befürchten. Endogene Datenbankfehler (=Fehler, die erst bei der Aufnahme in die Datenbank entstehen) können daher den Publikations- und Zitationserfolg verringern. Ganze Wissenschaftsdisziplinen können darunter leiden, und die Universitäten, an denen sie vertreten sind: So werden aufgrund von falschen Zuordnungskriterien sozial-, kultur-, geisteswissenschaftliche Publikationen mit mehr als 100 Referenzen nicht als Originalstudie, sondern als “Review” geführt und erst gar nicht gezählt, im Shanghai-Uni-World Ranking.
Wir sollten daher nicht wie die Lemminge dem Mantra “Publiziere oder Stirb” hörig folgen, sondern für eine neue Form von Qualitätsmanagement in den Wissenschaften eintreten: Die “Tonnenideologie” (so Alfred Kieser, Betriebswirtsprofessor und Organisationstheoretiker) heutiger Wissenschaftsevaluation, eigentümlich verwandt der früheren sowjetischen Planwirtschaft, hat auch negative Effekte auf den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess: Geforscht muss an Main-Stream-Themen werden, einerseits um überhaupt zu Forschungsgelder zu kommen, andererseits, damit sie eine Chance haben, in sogenannten “Top-Journalen” veröffentlicht zu werden. Geforscht werden sollte aber an Problemen, die für viele Menschen von existentieller Bedeutung sind, um Lösungen zu finden, oder weil uns die wissenschaftliche Neugierde dorthin vorantreibt. Denn „Serendipity“-Effekten – etwas zu suchen, aber etwas ganz anderes zu finden, das nicht sofort in der Praxis verwertet werden kann – verdanken wir wichtige wissenschaftliche Entdeckungen.